DREHARBEITEN

1999 stellte Eoin Moore plus minus null auf dem Festival in San Francisco vor. Die Begegnung mit der Stadt verband sich sofort mit Pigs Will Fly. "Ich habe noch nie so ein Gefälle zwischen großer Schönheit und Reichtum und den Abgründen, der Armut gesehen. San Francisco steht für Hoffnungen und Neuanfänge, von der Goldgräberzeit bis zur Schwulen- und Lesbenbewegung. Die Golden Gate Bridge ist ein Symbol der unbegrenzten Möglichkeiten und gleichzeitig die Selbstmord-Location Nummer eins der Welt. Die Stadt schien mir wie geschaffen für Laxe: eine fremde Umgebung, wo ihm Sicherheiten und Ablenkungen genommen sind, wo er sich mit ein wenig Hilfe selbst kennenlernen und einen Neuanfang versuchen könnte – oder scheitern."

Im April 2000 verbrachten Eoin Moore und Thomas Morris 10 Tage in San Francisco, an denen sie mit Mountain Bikes alle Winkel der Stadt abfuhren, um geeignete Drehorte zu finden und ein unmittelbares Gefühl für die Stadt zu bekommen. Erica Marcus, die Produktionsleiterin für den San Francisco-Dreh, und die Produktionskoordinatorin Simone Arndt setzten die Location-Suche später fort. Zwei Wochen vor Drehbeginn kamen Eoin Moore und Bernd Löhr nach San Francisco, um die endgültige Auswahl zu treffen und die Drehbuchauflösung entsprechend anzupassen.

Die Dreharbeiten begannen am 14. September 2001, drei Tage nach dem Anschlag auf das World Trade Center. Für den ersten Drehtag war die Begrüßungsszene zwischen Walter und Laxe am Flughafen von San Francisco vorgesehen – doch der war mittlerweile unter Aufsicht des FBI gestellt worden. Alle bisherigen Genehmigungen waren nicht mehr gültig, die Ansprechpartner ausgewechselt. Die Szene wurde schließlich verdeckt vom Parkdeck aus gedreht, was nicht unbemerkt blieb – erst als die Regieassistentin eine ebenso wilde wie überzeugende Geschichte von wichtigen persönlichen Videoaufnahmen vorbrachte, konnte die Einstellung mit FBI-Duldung zuende gedreht werden. Dieses Problem begleitete das Team während der ganzen Zeit in San Francisco – die Lösung lag im parallelen Kampf um Drehgenehmigungen für die unverzichtbaren Orte und dem Drehen ohne Genehmigung, was durch die Kompaktheit des Teams ermöglicht wurde. Immer wieder mussten Regie und Kamera die Drehbuchauflösung neu an die jeweiligen Orte anpassen. Den Verlauf der Dreharbeiten beschreibt Eoin Moore dennoch als relativ normal. Grundlage für die Schauspieler waren skizzierte Dialoge, eigene Notizen und Videoaufnahmen aus der Probenzeit, die immer wieder als Orientierung dienten. Trotz der unvorhergesehen Probleme in der Folge des 11. September 2001 gelang es, den San Francisco-Dreh im Zeitplan zu beenden, nach einer kurzen Pause schloss sich dann der zweite, kürzere Teil der Dreharbeiten in Berlin an.

Neue Wege der DV-Ästhetik

Bernd Löhr war bereits bei plus minus null – dem ersten in Deutschland auf DV gedrehten Spielfilm – für die Kamera verantwortlich. Die Entscheidung, auch Pigs Will Fly auf DV zu drehen, ergab sich für Löhr und Eoin Moore aus dem Charakter des Projekts. "Wir wollten wegen der sensiblen Thematik in einer intimen Atmosphäre arbeiten – alle Beteiligten sollten in den Arbeitsprozess eingebunden sein und mitwachsen", meint Eoin Moore. "Dafür brauchte es ein kleines Budget und vor allem eine kleine Gruppe – ein zwingender Grund für DV. Andere Gründe bzw. die ästhetischen Konsequenzen, die sich daraus ergeben, haben wir uns zunutze gemacht. Es paßte zu unserer Geschichte, dass DV etwas Gebrochenes und Unvollkommenes hat. Die Arbeit mit DV ist eine dauernde Gratwanderung mit dem Material: es sperrt sich, es behält immer ein Rätsel zurück."

Im Unterschied zu den meisten digitalen Produktionen vertrauten Löhr und Moore für Pigs Will Fly auf ein genau geplantes, zurückhaltendes visuelles Konzept, das neben wenigen Handkamera-Aufnahmen und Steadicamfahrten den überwiegenden Einsatz einer statischen Kamera mit langen Brennweiten vorsah. "Wir wollten mehr als bei plus minus null mit der Kamera erzählen, durch Auslassungen, Ellipsen, die Betonung von Details. Wir wollten weg von der Handkamera-Orgie, dennoch sollte es etwas Gebrochenes geben, z.B. durch eine bestimmte Art von Kameraschwenks, die wie off beats in der Musik funktionieren: die Kamera folgt der Bewegung der Schauspieler verspätet oder nimmt sie vorweg. Es ging darum, immer wieder den Rhythmus zu brechen, einen Gegenrhythmus zu finden. Wenn Inga aus dem Bild läuft und die Kamera zögert, gehen wir mit Laxes Gedanken hinterher – seine innere Bewegung, das Nachdenken über Inga, wird so wichtiger als die äußere."

In mehreren Probeläufen experimentierte Bernd Löhr mit neuen Möglichkeiten der digitalen Kamera, der Lichtsetzung mit Lichtquellen wie Batterielampen und Kerzen sowie Einstellungen mit langen Brennweiten. "Man muss wissen, was mit einer DV-Kamera geht und was nicht", meint Bernd Löhr, der selbst ‘Digitale Bildgestaltung’ an der DFFB lehrt. "Gegen das Format zu arbeiten, ist sinnlos. DV hat enge technische Grenzen, allein wegen der digitalen Datenreduktion. Andererseits gibt die reduzierte Informationsdichte den DV-Bildern eine klare Struktur, die sehr unmittelbar auf den Betrachter wirken kann – man kann damit wie mit keinem anderen Filmformat die Konzentration auf das Wesentliche erreichen."

Unter die Haut

Die Postproduktion dauerte von November 2001 bis März 2002. Dass für den Soundtrack neben Warner Poland und Kai-Uwe Kohlschmidt, mit denen Eoin Moore bereits bei Conamara zusammen gearbeitet hatte, auch der renommierte Singer/Songwriter Chris Whitley gewonnen werden konnte, mutet dabei fast wie eine schicksalhafte Fügung an. Nachdem die Musik von Chris Whitley, eingeführt durch Andreas Schmidt, das Team während der gesamten Vorbereitung begleitet hatte, bot sich während der Dreharbeiten in San Francisco zufällig die Möglichkeit, einen Live-Auftritt von Chris Whitley zu erleben. Dieser Zufall wiederholte sich in Berlin, und dieses Mal gelang es Eoin Moore, den Musiker direkt anzusprechen. Für Whitley kam das Angebot nicht ungelegen – kurz zuvor war er aus persönlichen Gründen nach Dresden übergesiedelt. Der Soundtrack von Pigs Will Fly entstand schließlich in enger Kooperation zwischen Warner Poland, Kai-Uwe Kohlschmidt und Chris Whitley.

"Ich denke, dass die Entwicklung, die Proben, die Dreharbeiten von Pigs Will Fly das Schwierigste war, was ich bisher gemacht habe – und das Aufregendste", meint Eoin Moore rückblickend. "Über lange Zeit waren viele Leute mit viel Enthusiasmus und großer innerer Beteiligung dabei – man konnte spüren, wie sehr das Thema allen unter die Haut ging. Neben den Euphorie-Phasen gab es auch immer wieder Stresssituationen während der Proben und am Set. Es war immer eine Grundspannung da, die sich positiv und negativ entladen konnte – es konnte immer kippen. Die Geschichte erforderte ein hohes Maß an Entsicherung, an Improvisation und Spontaneität. Die Arbeit daran war für uns wie eine Entdeckungsreise – es fällt mir schwer, das genauer zu erklären, die Begriffe dafür klingen manchmal etwas abgekaut. Wir wollten eine individuelle Geschichte erzählen, die ein Thema eröffnet, die Anstöße gibt, die Fragen stellt – die bewegt und die Zuschauer gleichzeitig herausfordert mitzugehen, zu reflektieren und die Lücken zu füllen. Am Ende, wenn Laxe über die Brücke geht, ist für mich der Punkt erreicht, an dem der Film sich aus der Geschichte ausklinkt, ohne sie hundertprozentig zu beenden – ich hoffe, der Film geht beim Publikum ebenso weiter wie bei uns."














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