HINTERGRUND
Die Idee zu Pigs Will Fly entstand während der Arbeit an Eoin Moores
erstem Spielfilm, plus minus null. Andreas Schmidt spielt dort den Bauarbeiter
Alex, der sich durch das Berlin der 90er Jahre schlägt. Frau und
Kind haben ihn verlassen: Was, fragten sich Moore und Schmidt bei der
Figurenentwicklung, könnte dem Scheitern von Alex Ehe vorausgegangen
sein? Neigte Alex zur Gewalttätigkeit gegenüber seiner Familie?
Für plus minus null verwarfen die Autoren diese Möglichkeit
wieder, weil sie zu eigenständig war der Ausgangspunkt von
Pigs Will Fly war geschaffen. Aus Alex wurde Laxe.
Mit dem Thema der häuslichen Gewalt bewegte sich Eoin Moore in eine
filmisch kaum erkundete Richtung. Die wenigen Filme, die sich damit beschäftigten,
waren aus der Perspektive des Opfers erzählt. "Für mich
war der Täter das Rätsel. Es ging mir darum, die Psychologie
des Täters zu verstehen, um den Mechanismus der Gewalt zu durchbrechen",
erzählt Eoin Moore. "Wenn wir den Täter in die Schublade
des Bösewichts stecken, verliert er seine reale Identität
in der Gesellschaft vielen Tätern begegnen wir ja als unauffälligen,
durchaus netten Zeitgenossen, denen Frauenschläger keineswegs
auf die Stirn geschrieben steht. Mich hat die Herausforderung gereizt,
bei einem Thema, das so extreme Emotionen auslöst, den Täter,
den Bösewicht als Hauptfigur zu etablieren. Wir sollen die Figur
verstehen, aber wir dürfen sie nicht entlasten diese Gratwanderung
zwischen Identifizierung und Verurteilung fand ich extrem spannend."
Der Täter als Hauptfigur
Im Herbst 1999, noch während der Postproduktion von Moores zweitem
Spielfilm Conamara, begannen Eoin Moore und Andreas Schmidt sich intensiver
mit der Thematik zu beschäftigen. Zunächst ging es darum, aus
den verschiedenen möglichen Täterbildern einen Typus zu bestimmen
und die individuelle Psychologie der Figur zu ergründen. "Laxe
entspricht dem Bild des sogenannten zyklischen Mißhandlers",
erzählt Eoin Moore. "Seine Gewaltausbrüche richten sich
gegen die Partnerin und folgen einem immer wiederkehrenden Schema: Mißtrauen,
Kontrollieren, Beleidigen, Erniedrigen, schließlich die körperliche
Gewalt; dann eine Phase der Reue und Änderungsversprechen, bis der
Kreislauf wieder von vorn beginnt. Die Gewaltausbrüche sind jeweils
die Höhepunkte einer extrem komplexen, dauernden Mißhandlung."
Während Eoin Moore sich überwiegend mit dem theoretischen Teil
der Recherche beschäftigte, besuchte Andreas Schmidt Therapiegruppen,
nahm an deren Sitzungen teil und führte zahlreiche Einzelgespräche.
Nach und nach entwickelten Moore und Schmidt vor dem Hintergrund der allgemeinen
Recherche die individuellen Züge ihres Protagonisten. "Uns hat
interessiert: Wie funktionieren die Abgründe, was lösen sie
für Mechanismen aus, wie werden sie zum elementaren Teil eines Charakters?"
"Es war klar, dass wir auch charmante Züge für Laxe finden
müssen. Wir mussten zeigen, dass er für eine Partnerin attraktiv
sein kann", meint Eoin Moore. "Das Spannendste war, die Geschichte
so zu erzählen, dass man Laxe und seinen Handlungen folgen kann.
Er hat sein eigenes System, seine eigene Logik. Andreas hat immer nach
Begründungen für Laxes Handlungen innerhalb dieser Logik gesucht,
sie mussten für seine Figur vernünftig sein. Das
heißt, man nimmt eine Erzählposition ein, die sagt: Laxe schlägt
Inga nicht, weil er ein gewalttätiger Typ ist, sondern weil sie ihn
gerade anschreit Ich knall dir eine, um dich zu beruhigen!,
wie Laxe sagt. Dieser absurden Logik sind wir gefolgt. Dann kann man auch
erzählen, wie Laxe anschließend zu Inga kommt und sie fast
liebevoll fragt: Na, hast du dich wieder beruhigt?
und sie lässt es sich gefallen! Auch das ist Teil dieses Mechanismus,
dieser Logik."
Aus der Figur und der Grundkonstellation der Geschichte ergab sich eine
weitere erzählerische Herausforderung: eine Hauptfigur spannend zu
machen, die sich aus sich selbst heraus nicht verändern kann. "Ohne
Hilfe, ohne Druck von außen, ohne Therapie hat jemand wie Laxe keine
Chance; es wäre absolut falsch gewesen zu behaupten, dass er das
könne. Das heißt, Laxe ist innerhalb der gängigen Dramaturgie
die von der Entwicklung: Konflikt, Entscheidung, Veränderung
ausgeht als Figur eigentlich extrem unspannend. Es gibt Momente
und Impulse, die ihm helfen sich zu erkennen und zu entscheiden. Aber
er kommt nicht weit. Das Spannende lag für uns darin zu fragen, ob
es jemanden gibt, der ihn zwingt sich zu verändern. Inga ist eine
Herausforderung, auch Walter auf seine Art, aber beide können seine
Logik nicht durchbrechen. Laxe ist derjenige, der forciert, der sich und
seine Umgebung in Situationen bringt, in denen ihm dann die anderen wieder
helfen müssen. Die Grundspannung liegt in der Situation selbst, in
Laxes System, in seiner Logik. Pigs Will Fly hing deshalb vollkommen davon
ab, wie die Schauspieler diese Spannung ausdrücken können
ohne die unglaubliche Arbeit und Hingabe von Andreas, Thomas, Kirsten
und Laura hätte es nicht geklappt."
Work In Progress
Kirsten Block, die die Hauptrolle in Andreas Schmidts eigener Regiearbeit
Jeder für sich gespielt hatte, war von Beginn an eine
klare Wahl für die Rolle der Manuela. Auch sie war maßgeblich
an der Entwicklung ihrer Figur beteiligt. "Ausgehend von der Täterperspektive
des Films musste die Figur des Opfers extrem präzise erzählt
werden, damit man ihr trotz der notwendigen Verknappung als eigenständiger
Figur gerecht wird", erzählt Eoin Moore. "Kirsten hat in
der Vorbereitung selbst Therapiegruppen besucht und dafür gesorgt,
dass wir gegenläufig zu unserer Erzählposition auch die Perspektive
des Opfers im Auge behalten. Sie bestand darauf, dass Manuela in der Geschichte
eine Entwicklung durchmacht wofür die Figur Zeit braucht.
Über die Jahre hat Laxe es verstanden, sie systematisch zu kontrollieren
und die Kontakte gegenüber ihrer Umgebung zu verhindern. Über
die Erlebnisse zuhause kann sie mit niemandem mehr offen reden
normale Maßstäbe gelten nicht mehr, schließlich gibt
sie sich selbst die Schuld an den Prügeln. Erst als Laxe weg ist,
beginnt sie den Mechanismus zu durchbrechen, und als er zurück kommt,
braucht sie nochmals Zeit, bis sie ihre Panik in die Trennung von Laxe
umsetzen kann. Am Ende sind es die Geräusche des Frühstückkochens,
das Pfeifen von Laxe, das Brutzeln der Spiegeleier, dieser Alltag, als
sei nichts gewesen
was ihr die Motivation gibt zu gehen. Ihre Entwicklung
ist widersprüchlich, es ist eine Achterbahnfahrt, und am Ende gibt
es keine elegante Flucht."
Als die Idee aufkam, Laxe einen Bruder zur Seite zu stellen, dachte Eoin
Moore sofort an Thomas Morris, den er 1999 auf dem Filmfestival Max Ophüls
Preis in Saarbrücken kennengelernt hatte. Thomas Morris traf sich
in der Recherche mit Psychologen und entwarf gemeinsam mit Andreas Schmidt
die fiktive Kindheit des ungleichen Brüderpaares. Die Figur des Walter
war eine eigene Herausforderung: Im Gegensatz zu Laxe hat er seine Angst
und Wut nach innen gekehrt und die Symptome mit Therapien und kreativen
Mitteln in den Griff bekommen. Entsprechend musste Thomas Morris seine
Figur durch sehr zurückgenommes Spielen, sozusagen durch Nicht-Spielen,
durch Auslassungen erzählen.
Laura Tonke kam im August 2000 dazu die Figur der Inga war das
letzte Teil im Puzzle der Hauptdarsteller. Auch sie wurde in die Stoff-
und Figurenentwicklung integriert, die im ständigen Austausch zwischen
Schauspielern und Autoren vor sich ging. "Im Vergleich zu plus minus
null und Conamara war die Arbeitsweise bei Pigs Will Fly eine Mischform",
erzählt Eoin Moore. "Bei plus minus null haben wir mehr oder
weniger einfach losgelegt. Conamara war wesentlich dramaturgielastiger
ich habe viel Zeit mit dem Co-Autor verbracht. Bei Pigs Will Fly
kam zuerst eine lange Phase der Arbeit mit den Schauspielern, in der wir
die Figuren und die Möglichkeiten für die Geschichte entwickt
haben. Anfang 2001 hatten wir drei Wochen intensiver Schauspiel- und Improvisationsarbeit,
danach habe ich mit der Co-Autorin Nadya Derado und der Produzentin Sigrid
Hoerner angefangen, die Geschichte aufzuschreiben. Der ganze Prozess war
ein Wechselspiel, das mit dem unmittelbaren Austausch zwischen Buch und
Schauspielerarbeit während einer letzten, einmonatigen Probenzeit
abgeschlossen wurde."
Für die Produktion von Pigs Will Fly gründeten die moneypenny-Produzentinnen
Sigrid Hoerner und Anne Leppin gemeinsam mit Eoin Moore die workshop GbR.
"Sigrid und Anne boten dem Projekt die Lenkung, die Fokussierung,
die es brauchte", erzählt Moore. "Wir waren gemeinsam auf
der Suche, und wir wollten, dass die Natur des Projekts so bleibt: eine
Erkundung, eine Forschungsreise. Unsere Arbeitsweise des Workshop-Verfahrens
ergab sich zum einen aus dem Thema selbst, zum anderen wollten wir die
Zündungsenergie, die es am Anfang eines Projektes gibt,
mit in die Dreharbeiten nehmen. Im Normalfall machen sehr wenige Leute
den langen Weg von der Idee bis zur Drehreife eines Films mit bei
Pigs Will Fly wollten wir die Energie weiter streuen, eine kollektive
Energie entwickeln, die sich auf mehr Leute überträgt und wieder
zurückkommt."
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